Wenn ständig Ängste und Sorgen unser Leben bestimmen

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Autor: Lars Heemann Heilpraktiker für Psychotherapie und Männercoach

Zukunftssorgen, Sorgen um die Kinder, Angst vor Krankheiten, vor Prüfungen oder der allgemeinen Weltlage……..diese Liste wird rasch endlos und wer hat sie nicht dann und wann, (diese) Sorgen und Ängste? Zwar gehören Sorgen und Ängste zu unserem Leben, gleichzeitig sind Angststörungen die am häufigsten diagnostizierte psychische Störung in Deutschland – also ein Zustand, in dem ständige Ängste und Sorgen unser Leben spürbar einschränken. Ein Leben ohne Sorgen und Ängste ist sogar recht unwahrscheinlich: die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben an einer Angststörung zu erkranken liegt in Deutschland – je nach Studie – bei bis zu 25% (Lebenszeitprävalenz).

Überschrift

In diesem ersten Teil von zwei Beiträgen über Sorgen und Ängste möchte ich kurz erläutern, warum so negative besetzte Gefühle wie Ängste und Sorgen grundsätzlich erst einmal wichtig sind und es in einer Therapie nicht darum gehen sollte und kann, sie gänzlich loszuwerden. Auch geht es um Möglichkeiten und Strategien, mit ihnen umzugehen, ohne dass sie unser Leben bestimmen.
In einem zweiten Teil dieses Beitrags werde ich einen psychodynamisch orientierten Blick auf Sorgen und Ängste werfen und darstellen, welche Grundformen von Ängsten wir als Menschen teilen und wo die Ursachen hierfür liegen können.

ein Leben ohne Sorgen und Ängste ist weder möglich noch sinnvoll

Wer macht sich gerne Sorgen oder hat Ängste? Vermutlich niemand!
Wer hat Sorgen oder Ängste? Vermutlich jeder!
Was ist dann bitte schön der Sinn eines solch universellen Gefühls?

Ängste weisen uns auf eine (subjektive!) Gefahrensituation hin und versorgen unseren Körper und Geist mit der notwendigen Energie, darauf zu reagieren (Die vier Ebenen der Angst):

Unser Muskeltonus sowie die Atem- und Herzfrequenz steigen, Schweissausbrüche, Mundtrockenheit, Unruhe (vegetative und motorische Ebene) ein Gefühl des „in die Enge getrieben seins“ macht sich breit (emotionale Ebene) und unser Geist fokussiert sich auf die empfundene Bedrohung und sucht ggf. nach Lösungen oder „schaltet ab“ (kognitive Ebene). Allgemein engt Angst ein (lat. „angustiae“ = Enge) und wir sind nun in Alarmbereitschaft, um auf die Gefahr zu reagieren: Kampf, Flucht oder – wenn die Gefahr zu groß ist – Totstellreflex (Fight, Flight or Freeze).

Angst hat somit eine Schutzfunktion und sie kann getrost auch als ein wichtiger „Motor in uns“ gesehen werden, um uns zu verändern und anzupassen: Angst vor einer ungewissen Zukunft läßt uns bspw. planen und Anpassungsstrategien entwickeln.

Ohne Angst wäre die Menschheit vermutlich schon lange ausgestorben. Manchmal kann dieser „freundschaftliche“ Blick auf unsere Sorgen und Ängste bereits hilfreich sein, um mit ihnen besser umgehen zu können und ihre motivationale Kraft zu entdecken.

Von „Guten Sorgen und Ängsten“ zur angststörung

Eine wichtige Funktion unserer Angst ist es also, uns vor einer realen Gefahr zu beschützen (Realangst). Von einer Angststörungen oder einer pathologische Angst spricht man, wenn Angstreaktionen (siehe oben: 4 Ebenen der Angst) ausgelöst werden, obwohl keine reale oder objektive Gefahr besteht und die Lebensführung der betroffenen Person merklich eingeschränkt ist. Einige Beispiele für Angststörungen nach ICD-10:

  • Klaustrophobie: Angst vor/in geschlossenen Räumen
  • soziale Phobie: Die Furcht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen (bspw. bei Präsentationen oder auch beim eigenen Geburtstag) und sich peinlich zu verhalten
  • Akrophobie (Höhenangst)
  • Prüfungsangst
  • Trennungsangst
  • Angst vor Krankheiten

Die Ängste können sich auf ganz unterschiedliche Objekte oder Situationen beziehen und die obige Liste ließe sich quasi beliebig verlängern. Wichtig ist dabei das subjektive Erleben: Ob eine Angststörung vorliegt, entscheidet – salopp gesprochen – der Patient mit seinem subjektiven Erleben von Angst und der damit verbundenen Einschränkungen seiner Lebensqualität.

Für jemanden, der bspw. unter einer Schlangenphobie (Ophidiophobie) leidet, läßt sich diese in unserem Kulturkreis durch einfaches Vermeidungsverhalten vermutlich recht gut in den Griff bekommen. Dies dürfte anders sein bei Managern oder Lehrern, die unter einer sozialen Phobie leiden.

Erwartungsangst: Der teufelskreis der Angst

Es ist leicht nachzuvollziehen, dass Menschen, die unter ständigen Sorgen und Ängsten leiden, Gefahr laufen, in einem Zustand der Dauererregung oder des Dauerstresses zu leben – mit offensichtlichen Risiken für die psychische, soziale und körperliche Gesundheit. Das typische Vermeidungsverhalten, kann zu sozialer Isolation führen. Hilflos macht viele Patienten zudem, dass sie um die Irrationalität ihrer Ängste zwar wissen, aber nichts gegen die Angstsymptome tun können.

Besonders tückisch erweist sich die „Angst vor der Angst“ oder „Erwartungsangst„: Angstsymptome zeigen sich bereits vor der Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt oder der mit Angst besetzten Situation (bspw. der bloße Gedanke oder die Vorstellung vom angstbesetzten Objekt/Situation reichen, um eine Angstattacke auszulösen). Auch eigentlich harmlose körperlich Symptome, wie beschleunigtes Herzklopfen nach Treppensteigen, können reichen, um eine Angstattacke auszulösen, da sie stark mit der Angst assoziiert sind. Patienten können hier in einen sog. Teufelskreis der Angst geraten!

Ständige Sorgen und Ängste: Was tun?

Für Menschen mit einer pathologischen Angststörung gibt es mittlerweile eine Vielzahl gut erforschter und wirksamer (störungsspezifische) Therapieansätze, insbesondere innerhalb der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT). Ein häufiger Bestandteil dieser Therapieform ist die therapeutisch begleitete Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt/Situation in Verbindung mit dem Erkennen und Umstrukturieren dysfunktionaler Gedanken („Mein Herz schlägt schnell, gleich sterbe ich.“ –> „Dass mein Herz jetzt schneller schlägt, ist eine ganz normale Reaktion meines Körpers und mein Herz ist gesund.“). Immer häufiger werden diese auch um Ansätze und Techniken aus der Achtsamkeitspraxis ergänzt. Abhängig vom Schweregrad der Symptomatik, kann auch eine pharmakologische Therapie sinnvoll sein (nur durch Fachärzte!).

An einem Schilift habe ich vor Jahren einmal den (werblichen) Satz gelesen „Fear is the enemy of progression.“ (Angst ist der Feind von Fortschritt und Weiterentwicklung). Auch wenn ich dem Satz in dieser Absolutheit nicht zustimme, zeigt er auf, dass zu viel Angst und die Vermeidung von Angst uns in unserer Weiterentwicklung als Mensch tatsächlich behindern kann. Menschen mit Angststörungen sollten sich daher unbedingt und frühzeitig über Möglichkeiten psychotherapeutischer Unterstützung informieren.

Im psychotherapeutischen Kern geht es bei Ängsten also in der Regel darum, das typische Vermeidungsverhalten zu durchbrechen und unserer Angst ins Gesicht zu schauen, sich ihr zu stellen und durch sie hindurch statt drumherum zu gehen – erst dann kann sie gehen.

Die in diesem Beitrag angedeuteten Angststörungen können aus tiefenpsychologisch/ psychoanalytischer Sicht auch als Vermeidungsverhalten von tieferliegenden oder existenziellen Ängsten interpretiert werden: Wir neigen dazu, Ängste, denen wir nicht ausweichen können, da sie durch unser Menschsein ausgelöst werden, auf leichter zu vermeidende Objekte „nach außen“ zu verschieben. Welche Ängste dies sein können, werde ich im zweiten Beitrag besprechen.

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