Wer kennt das nicht: Sorgen um die Zukunft oder die Familie, Angst vor Krankheiten, vor Prüfungen oder der allgemeinen Weltlage – diese Liste wird rasch endlos.
Zwar gehören Sorgen und Ängste zu unserem Leben. Wenn dieser Zustand uns aber spürbar einschränkt, sprechen Profis von einer Angststörung: der am häufigsten diagnostizierten psychischen Störung in Deutschland. Die Wahrscheinlichkeit, einmal im Leben an einer Angststörung zu erkranken liegt in Deutschland – je nach Studie – bei bis zu 25 % (Lebenszeitprävalenz)!
Grund genug, sich einmal intensiver damit auseinanderzusetzen. Lesen Sie hier meinen ersten von künftig zwei Beiträgen zu diesem wichtigen Thema.
Angst und Sorgen: Negativer Ruf – oft wichtige Funktion
In diesem ersten Beitrag über Sorgen und Ängste möchte ich Ihnen nahebringen, warum diese negativ besetzten Gefühle grundsätzlich sogar wichtig sind[1] . In einer tiefenpsychologischen Psychotherapie sollte und kann es nicht darum gehen, Ängste gänzlich loszuwerden. Vielmehr nutzen wir Strategien, mit Angst und Sorgen umzugehen, ohne dass sie unser Leben bestimmen.
vielleicht wollen wir hier gleich noch knapp ergänzen, warum? Zb „…sind – etwa, um mit realen Herausforderungen umzugehen.“
In einem zweiten Teil dieses Beitrags werde ich einen psychodynamisch orientierten Blick auf Sorgen und Ängste werfen und darstellen, welche Grundformen von Ängsten wir als Menschen teilen und wo die Ursachen hierfür liegen können.
Ein Leben ohne Sorgen und Ängste?
weder möglich noch sinnvoll.
Wer macht sich gerne Sorgen oder hat Ängste? Vermutlich niemand!
Wer hat Sorgen oder Ängste? Vermutlich jeder!
Was ist dann der Sinn eines solch universellen Gefühls?
Ängste weisen uns auf eine (subjektive!) Gefahrensituation hin und versorgen unseren Körper und Geist mit der notwendigen Energie, darauf zu reagieren.
Wir unterscheiden vier Ebenen der Angst:
- Physiologische Ebene (Körper)
Unser Muskeltonus sowie die Atem- und Herzfrequenz steigen, Schweissausbrüche, Mundtrockenheit, Unruhe (vegetative und motorische Ebene) können auftreten - Kognitive Ebene (Gedanken)
Negative Gedanken wie „ich schaffe das nicht“, „Ich bin verloren“ oder ähnliches machen sich breit. Unsere Gedanken fokussieren sich auf die empfundene Bedrohung und suchen ggf. nach Lösungen oder „schaltet ab“ (Blackout). - Emotioniale Ebene (Gefühle)
Ein Gefühl des „in die Enge getrieben seins“ oder Hilflosigkeit macht sich breit. - Verhaltensebene
Wir sind nun in Alarmbereitschaft, um auf die Gefahr zu reagieren: Kampf, Flucht oder – wenn die Gefahr zu groß ist – Totstellreflex (Fight, Flight or Freeze).
Realangst hat somit eine Schutzfunktion – sie kann als ein wichtiger „Motor in uns“ gesehen werden, um uns zu verändern und anzupassen: Angst vor einer ungewissen Zukunft lässt uns etwa planen und Anpassungsstrategien entwickeln. Eine zentrale Funktion unserer Psychodynamik.
Ohne Angst wäre die Menschheit vermutlich schon lange ausgestorben. Manchmal kann dieser „freundschaftliche“ Blick auf unsere Sorgen und Ängste bereits hilfreich sein, um mit ihnen besser umgehen zu können und ihre motivationale Kraft zu entdecken.
Von „Guten Sorgen und Ängsten“ zur Angststörung
Eine wichtige Funktion unserer Angst ist es also, uns vor einer realen Gefahr zu beschützen (Realangst). Von einer Angststörung oder einer pathologischen Angst spricht man, wenn Angstreaktionen (siehe oben: 4 Ebenen der Angst) ausgelöst werden, obwohl keine reale oder objektive Gefahr besteht und die Lebensführung der betroffenen Person merklich eingeschränkt ist.
Einige Beispiele für Angststörungen nach ICD-10:
- Klaustrophobie: Angst vor/in geschlossenen Räumen
- soziale Phobie: Die Furcht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen (bspw. bei Präsentationen oder auch beim eigenen Geburtstag) und sich peinlich zu verhalten
- Akrophobie (Höhenangst)
- Prüfungsangst
- Trennungsangst
- Angst vor Krankheiten
- …
Diese Liste ließe sich beliebig verlängern: Ängste können sich auf ganz unterschiedliche Objekte oder Situationen beziehen. Wichtig ist dabei das subjektive Erleben. Ob eine Angststörung vorliegt, entscheidet – salopp gesprochen – der Patient selbst: mit seinem subjektiven Erleben von Angst und der damit verbundenen Einschränkungen seiner Lebensqualität.
Für jemanden, der etwa unter einer Schlangenphobie (Ophidiophobie) leidet, lässt sich diese in unserem Kulturkreis durch einfaches Vermeidungsverhalten vermutlich recht gut in den Griff bekommen. Anders bei Managern oder Lehrern, die unter einer sozialen Phobie, Stress oder einem Burnout-Syndrom leiden.
Erwartungsangst: Der Teufelskreis der Angst
Es ist leicht nachzuvollziehen, dass Menschen, die unter ständigen Sorgen und Ängsten leiden, Gefahr laufen, in einem Zustand der Dauererregung oder des Dauerstresses zu leben – mit offensichtlichen Risiken für die psychische, soziale und körperliche Gesundheit. Das typische Vermeidungsverhalten, kann zu sozialer Isolation führen. Hilflos macht viele Patienten zudem, dass sie um die Irrationalität ihrer Ängste zwar wissen, aber nichts gegen die Angstsymptome tun können.
Besonders tückisch erweist sich die „Angst vor der Angst“ oder „Erwartungsangst„: Angstsymptome zeigen sich bereits vor der Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt oder der mit Angst besetzten Situation. Dabei kann der bloße Gedanke oder die Vorstellung reichen, um eine Angstattacke auszulösen.
Auch eigentlich harmlose körperlich Symptome, wie beschleunigtes Herzklopfen nach Treppensteigen, können reichen, um eine Angstattacke auszulösen, da sie stark mit der Angst assoziiert sind. Patienten können hier in einen sog. Teufelskreis der Angst geraten!
Ständige Sorgen und Ängste – Was tun?
Für Menschen mit einer pathologischen Angststörung gibt es mittlerweile eine Vielzahl gut erforschter und wirksamer (störungsspezifische) Therapieansätze, insbesondere innerhalb der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT).
Ein häufiger Bestandteil dieser Therapieform ist die therapeutisch begleitete Konfrontation mit dem angstauslösenden Objekt/Situation in Verbindung mit dem Erkennen und Umstrukturieren hinderlicher Gedankengänge.
Aus „Mein Herz schlägt schnell, gleich sterbe ich.“ wird so etwa „Dass mein Herz jetzt schneller schlägt, ist eine ganz normale Reaktion meines Körpers und mein Herz ist gesund.“
Immer häufiger werden diese auch um Ansätze und Techniken aus der Achtsamkeitspraxis ergänzt. Abhängig vom Schweregrad der Symptomatik, kann auch eine pharmakologische Therapie sinnvoll sein, aber nur durch Fachärzte!
Angst als Entwicklungsfeind
An einem Schilift habe ich vor Jahren einmal diesen Satz gelesen „Fear is the enemy of progression.“ (Angst ist der Feind von Entwicklung). Auch wenn ich nicht für jeden Fall zustimme: Der zeigt der Satz auf, dass zu viel Angst und entsprechendes Vermeidungsverhalten uns in unserer Weiterentwicklung als Mensch behindern können. Menschen mit Angststörungen sollten sich daher unbedingt und frühzeitig über Möglichkeiten psychotherapeutischer Unterstützung informieren.
Im psychotherapeutischen Kern geht es bei Ängsten also darum, die typische Vermeidung zu durchbrechen – und Sorgen ins Gesicht zu blicken. Sie können sich entscheiden, sich ihrer Angst zu stellen und durch sie hindurch statt drumherum zu gehen? Dann wird sie überwindbar.
Auf zum Kern: Was steckt wirklich hinter meiner Angst?
Die in diesem Beitrag angedeuteten Angststörungen können aus tiefenpsychologisch/ psychoanalytischer Sicht auch als Vermeidungsverhalten von tieferliegenden oder existenziellen Ängsten interpretiert werden:
Wir neigen dazu, menschliche Ur-Ängste, denen wir nicht ausweichen können, „nach außen“ auf leichter zu vermeidende Objekte zu verschieben.
Welche Ängste dies sein können, werde ich Ihnen im zweiten Beitrag erläutern. Darin werde ich einen psychodynamisch orientierten Blick auf Sorgen und Ängste werfen. Wir werden betrachten, welche Grundformen von Ängsten wir als Menschen teilen – und wo die Ursachen hierfür liegen können.
Ich danke Ihnen für Ihr Interesse – und gratuliere zu Ihrem Einsatz für Ihr seelisches Wohlbefinden.
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